Sind die frühen Arbeiten von Vaclav Sika gekennzeichnet von Ornamentstrukturen und von Farb- und Formkompositionen, die auf geometrischen Grundlagen basieren, so beschäftigt er sich dagegen heute mit detailgetreuen gegenständlichen Darstellungen. Sein Weg von der geometrischen Abstraktion hin zur hyperrealistischen Malerei ist tief verankert in seinem persönlichen Umfeld und nur auf den ersten Blick ungewöhnlich. Den Anfang setzt Vaclav Sika mit einer Rauminstallation aus Fundstücken, die er 1995 in der Städtischen Galerie im südmährischen Hodonin realisiert. 1500 klein gefaltete, mehrfach über- und nebeneinander gereihte Papierschachteln – Abfallprodukte einer Spinnerei seines Wohnortes Kdyne – verwandelt er zu einem über sechs Meter großen Objekt. Die Öffnung der einzelnen Schachteln ist jeweils nach vorne gekehrt, so dass die Vertiefungen ein geordnetes System geometrischer Formen ergeben, das sich in Größe und Dimension dem Ausstellungsraum anpasst und zur raumgreifenden Gesamtinstallation wird. Sika experimentiert mit weiteren Fundstücken wie Holz, Metall und Glas und schafft, basierend auf ihrer jeweiligen Grundform, geometrische Figuren in spielerischer Variation. Ansatz seiner künstlerischen Auseinandersetzung sind die Beziehung der Objekte zueinander, die Sichtbarmachung unterschiedlicher Bewegungstendenzen geometrischer Formen und der Übergang vom Objekt zum Raum. Er verbindet, schichtet, wiederholt und ordnet Formen und fügt ihnen ausgewählte Farben zu, wodurch unterschiedliche Kombinationen entstehen, die zugleich die Bildaussage verändern. Es entstehen scheinbar sich unendlich fortsetzende Serien, wie z. B. eine 60-teilige Werkreihe, in der Vaclav Sika aus Abfallprodukten einer Möbelfabrik Reliefs gestaltet. Die stark farbig gefassten Holzstücke werden auf gleich großen quadratische Platten unterschiedlich zusammengefügt und bilden, einem Wandfries gleichend, ein spannendes Form- und Farbenspiel. Aus dieser Werkreihe entwickelt sich darüber hinaus ein Zyklus großformatiger Wandreliefs, die deutlicher noch in den Raum hineinragen. Seit dem Jahr 2000 beschäftigt sich Vaclav Sika verstärkt mit Themen seiner Heimat, was zur Folge hat, dass die Natur und die Darstellung der Menschen seiner Umgebung und der Dinge seines persönlichen Alltags zusehends in den Fokus seiner Malerei geraten. Er beginnt Porträts seiner Familie zu malen und Naturdarstellungen der Gegend seines Wohnortes Kdyne. Tiefe Wälder, die er von Kind an durchquerte, hält er mit einzigartigen Licht- und Schattenspielen fest; er malt Wasserspiegelungen, eigentümlich gewachsene Weiden oder Stillleben mit Bäumen. Häufig durchwandert er die weitläufige Landschaft der Umgebung und interessiert sich dabei immer mehr auch für die Menschen und die Kultur seiner tschechischen Heimat. Besonders fasziniert ihn dabei die bis heute lebendige Tracht des Chodenlandes mit ihren aufwändig gewebten Stoffen und individuellen Schnitten, den raffinierten Mustern und kräftigen Farben undhält Persönlichkeiten der westböhmischen Region aus den Bereichen Musik und Volkskunst in stimmigen Details fest. Ihn interessieren Besonderheiten wie Kopfbedeckungen, Haartracht und die Fülle verzierender Ornamente und schmückender Accessoires. Der aus 20 Bildern bestehenden Zyklus „Das Chodenland und sein alltägliches Leben“ akzentuiert er mit Porträts junger Menschen in aktueller Mode. Angeregt durch zahlreiche Reisen nach Südfrankreich, entdeckt Vaclav Sika seine Heimat ein zweites Mal. In der Provence fotografiert er auffällige Details von gewöhnlichen Pflanzen, wie z. B. von Kastanienbäumen, Pfingstrosen oder Maisfeldern, die ihn an seine böhmische Heimat erinnern. Im wenig bekannten Naturschutzgebiet „Herschtejn“ nahe Kdyne, inspirieren ihn die naturbelassenen Gebiete mit ihrer Ruhe und bizarren Schönheit. Sika lenkt mit seinen Landschaftsbildern den Blick des Betrachters auf die Natur als Ort kontemplativer Entspannung – weit weg von der schnelllebigen und hektischen Zeit. Es folgen Bilderserien von Käfern, die als Kleinstlebewesen im Wald kaum auffallen, aber in ihrer Artenvielfalt und ihrem ästhetischen Erscheinungsbild bemerkenswert sind, was bereits Karel Čapek inspirierte. Sika stellt den Insekten in der 23-teiligen Serie „Aus dem Leben von Insekten und Menschen“ diverse Porträts von jungen und alten Menschen gegenüber: mit Kopftüchern, auffallenden Frisuren, Motorradhelmen, aber auch mit inszenierten Kostümierungen und kunstvollen Kopfbedeckungen. Seine persönliche Vorliebe für Oldtimer und aufwändig in Chrom konstruierte Motorräder spiegelt sich in der aktuellen Serie, die er 2017 begann. Basierend auf Fotografien, wählt Sika für seine Bildmotive Details aus, die vor allem durch formschönes Design und wertvolle Verarbeitung bestechen. Er fokussiert dabei auf Einzelteile, die sich durch handwerkliches Können auszeichnen und zeigt in drei großformatigen Porträts, wie sich – trotz des futuristischen Sujets – die Wahrnehmung des Betrachters zu entschleunigen vermag. Letztlich lenkt Sika auch in diesen hyperrealistisch gemalten Porträts und in seinen Bilddarstellungen von Fauna und Flora den Blick auf zugrundeliegende Strukturen und Formengebilde. Fokus und Perspektive unterstützen die Sicht auf Einzelheiten, die auf einen tiefer liegenden Ausgangspunkt der Bildaussage verweisen. So kann ein Ornament als Abstraktion eines Naturabbilds symbolischen Charakter erhalten und durch Wiederholung und Potenzierung formalästhetische Aspekte widerspiegeln. Von seinem anfänglich ornamentalen „allover“ früherer Jahre gelangt Vaclav Sika so zur Fokussierung auf gesellschaftlich relevante Themen, die er in umfangreichen Werk- und Bildserien variiert.

Anjalie Chaubal Leiterin Museen und Galerien der Stadt Cham